Bettina Hauenschild mit Stadtverordnetenvorsteher Michael Weber

Rede von Bettina auf dem Neujahrsempfang 2019 der Stadt Borken

Willkommen, danke für die Einladung, danke für die freundliche Aufnahme in Ihrer Gegend, dem Schwalm-Eder-Kreis, dem Rotkäppchenland und hier in Borken, danke an Marcel Pitsch-Rehm und an Stefan Pruschwitz.

Ich bin eingeladen, Ihnen von unserem Projekt zu erzählen, von dem, was sich so alles tut und was wir vorhaben im Wasserschloss in Nassenerfurth. Wir nennen es nun Schloss Hirschgarten. In dieser Einladung klingt ein wenig eine Verwunderung mit. Warum tut sich das jemand an? So viel Arbeit? Und solche Kosten?! Oft werden wir auch gefragt: Warum hierherziehen, wenn man im Allgäu lebt?!

Ich hoffe, dass ich Ihnen ein paar Antworten geben kann im Verlauf des kurzen Vortrags heute.

Das war sicher Liebe auf den ersten Blick, als wir durch das Tor schauten, auf dieses zauberhafte, wunderschöne Anwesen, aber wir haben dann doch eine ganze Weile gezögert und nachgedacht, gerechnet und geplant und uns schließlich gesagt, „Nur wenn wir es anpacken, werden wir herausfinden, ob es klappt.“

Zunächst muss ich aber diejenigen enttäuschen, die vielleicht erwarten, dass ich Ihnen nun hier ein Unternehmen vorstellen werde, das wir ganz groß ausbauen, um Arbeit und Geld und so weiter in die Gegend zu holen. Wir sind ein ganz kleines Unternehmen, ein Art Familienbetrieb, eine kleine Gemeinschaft ohne einen Businessplan und Gewinnprognosen etc. Zur Zeit leben wir hier zu fünft: Martijn Pilon aus Holland, ein Masseur, Max Patzer, Controller und Yogalehrer, Leon Gidion, Gärtner, Otto Kukla und ich. Kathrin Adelfinger unterstützt unser Projekt von München aus und hilft vor allem bei der Gestaltung der Website etc. Ich kann Ihnen auch keinen Vortrag mit Projektionen und Powerpoint bieten oder mit einem Headset auf der Bühne herumrennen, vielmehr lade ich Sie ein, uns zu besuchen, sich ein eigenes Bild zu machen und, ja, den Ort auf sich wirken zu lassen.

Wir kommen nicht nur aus einer anderen Gegend, sondern auch aus Berufen, die nichts mit Schlossbesitz zu tun haben oder darauf vorbereiten. Beide ursprünglich Schauspieler, Otto Kukla auch Theaterleiter, Regisseur und Bühnenbildner. Ich arbeite weiterhin als Schauspielerin, meist am Theater, im Sommer bei den Festspielen in Bad Hersfeld seit ein paar Jahren – deswegen haben wir auch diese Gegend entdeckt- und momentan in Würzburg (ich komme gerade direkt von der Probe dort, Heinrich von Kleist „Prinz von Homburg“, in einem Monat ist Premiere, die Kostümabteilung hat mir freundlicherweise das Kleid geliehen für heute Abend, weil ich nicht dazu gekommen bin, mir eines zu besorgen. Andere Geschichte). Ich bin Heilpraktikerin geworden und Autorin und beschäftige mich mit der alten europäischen Pflanzenheilkunde. Otto Kukla hat eine Ausbildung in Permakultur gemacht, das ist eine Art der ökologischen Landwirtschaft und einige Jahre auf dem Kräuterhof Artemisia im Allgäu gearbeitet. Auf dem Weg raus aus den Theatern hinein ins Grüne sind wir uns begegnet.

Was ist unsere Vision? Unser Ziel? Unser Anliegen?

Man muss natürlich eine Idee dafür haben, eine Vision für ein solches Projekt, einfach nur sich zurückziehen und einsam durch die Flure wandeln geht dort irgendwie nicht.

Unsere Themen sind Natur und Kultur, altes Wissen als Mittel, das helfen kann, die Probleme unserer Zeit zu bewältigen.

Wir lieben die Landwirtschaft. „If you ate today, thank a farmer!“ also wenn Sie heute schon etwas gegessen haben, halten Sie kurz inne und denken an den, der das hergestellt hat. Oder wie Rudolf Steiner gesagt hat: „ Alles in unserem Leben, und dass wir überhaupt leben, verdanken wir der Landwirtschaft. Sie steht im Mittelpunkt.“ So ungefähr hat er es gesagt.…

Wir gehören keiner Partei und keiner Religion an und trotzdem ist das, was wir tun, politisch, und vielleicht nicht religiös, aber spirituell.

Wir haben einen Raum der Stille eingerichtet, den wir „Kapelle für alle Religionen“ nennen, weil wir keiner Religion den Vorzug geben wollen.

Bei der Beschäftigung mit dem, was ich Ihnen heute sagen möchte, bin ich auf einen Satz von Rilke gestoßen, der in einem Brief an einen Schüler sehr schön beschreibt, wie wir uns gefühlt haben, als wir uns entschieden hatten.

Rilke an Kappus: „… Wir müssen unser Dasein so weit, als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerhörte, muss darin möglich sein. Das ist im Grunde der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufklärbarsten, das uns begegnen kann….“

DENN:

Wir suchen nach dem Moment, der verändert. Warum baut der eine Bauer „konventionell“ an, voll Vertrauen auf die Versprechungen der Chemiekonzerne und anderer Verbündeter und in bester Absicht, Menschen ernähren zu wollen, aber rücksichtslos im Umgang mit den Böden und den Ressourcen? Und ein anderer bemerkt plötzlich, was er da tut, überwindet seine Angst, lernt dazu und stellt seinen ganzen Betrieb um? Wie verlieren wir die Skrupellosigkeit und Sorglosigkeit, wenn wir nur so zum Spaß um die halbe Welt fliegen, um Urlaub zu machen? Wann endlich wird Plastik aus unserem Konsum verschwinden? Diese Konsumgüter, die wir brauchen oder meinen zu brauchen, wie können wir sie wertvoller erachten und weniger wegwerfen? Wie müsste überhaupt eine Industrie aussehen, die im Einklang mit der Natur produziert? Die Antworten gibt es schon, das Wissen ist eigentlich da, wie kann es umgesetzt werden? Was können wir dafür tun?

Das sind einige der Themen, über die sich sicherlich auch trefflich streiten lässt, die uns am Herzen liegen und die uns hierher brachten, denn wir als Theatermenschen dachten, dieser Ort könnte hilfreich sein, die richtige Kulisse sozusagen dafür, Bewusstsein zu erwecken.

Bei der Eröffnung habe ich gesagt, dass wir auf unserem Gelände verzaubern wollen. Jeder, der kommt, soll ein klein wenig verändert wieder gehen. Etwas mitnehmen, eine Idee, ein Gefühl. Wir wünschen uns, dass Sie sich verlieben in die Schönheit der Natur, in die Schöpfung, wenn Sie so wollen. Als Symbol durfte jeder sich ein Samenkorn mitnehmen und entweder bei sich behalten oder einpflanzen.

Jetzt in der Winterzeit würde ich Knospen verteilen. Knospen gehören übrigens zur Gemmotherapie, einem recht neuen Zweig der Pflanzenheilkunde, bei dem es um die Knospen, also das Embryonalgewebe der Pflanzen geht, das ungeheuer reich ist an heilsamen Stoffen. Ich würde wahrscheinlich schwarze Johannisbeere verteilt haben, die Knospen enthalten ein Kortison, das gegen Allergien hilft. Oder simpel Birke – gehen Sie einmal bei einem Ihrer Spaziergänge hin und pflücken sich ein paar Knospen – interessanter Geschmack! Stimuliert den Stoffwechsel, Birke, der Baum des frühen Frühjahrs, der anzeigt, dass die Säfte wieder fließen… führt jetzt zu weit, kommen Sie ruhig einmal zu einem Vortrag zu uns!

Pflanzen stehen bei uns im Mittelpunkt. Und wir wollen Raum schaffen für die Begegnung mit den Pflanzen, mit der Natur und mit sich selbst.

  • Dieses Jahr werden wir die Kräutergärtnerei ausbauen und es entstehen neue Flächen auf dem Außengelände, denn unsere Tees, die wir im letzten Jahr hergestellt haben, sind schon fast ausverkauft.
  • Der Kräuteranbau ist seit unserem Beginn im letzten Jahr Bioland-zertifiziert, wir produzieren verschiedene Kräuterteemischungen, Kräutersalze und Räucherwerk.
  • Wir wollen über alte Kräutermedizin reden und bei der Anwendung helfen.

Mittlerweile wächst überall ein Bewusstsein dafür, wie wir mit der Natur und mit unserer Umgebung umgehen, wie hilfreich oft die unscheinbarsten Kräuter sein könnten. Diese Geschichte möchten wir verstärken.

Dass wir hier am richtigen Ort gelandet sind, wurde uns auch klar, als wir gesehen haben, dass hier viele der Gärten ganz selbstverständlich noch so genutzt werden, wofür sie alle Zeit genutzt worden sind: zur Selbstversorgung. Das ist etwas Besonderes, das wiederum eher jemand sieht, der von außen kommt. Wer selber anbaut, sammelt unschätzbares Wissen und Erfahrung und pflegt seinen Boden, will ihn nicht zerstören, der weiß, wie und womit er seine Pflanzen behandeln muss, um keine giftigen Substanzen zu sich zu nehmen.

Die Verhaltensforscherin Jane Goodall hat das so schön formuliert „Wir konnten wir jemals glauben, dass es eine gute Idee ist, unsere Nahrung mithilfe von Gift zu produzieren?“

In diesem Sinne bauen wir unsere Tees Bioland-zertifiziert an, und achten in unserem Café und unseren Veranstaltungen darauf, Bio-Produkte zu verwenden.

Der Kräuterhof Artemisia in Stiefenhofen im Allgäu hat uns beide und Leon sehr geprägt. Er ist vor ungefähr 20 Jahren entstanden unter der Leitung von Tilman Schlosser, der eine wunderbare Arbeit gemacht hat. Aus dem Nichts heraus hat er ein Zentrum für die Arbeit mit heilkräftigen Pflanzen geschaffen, das nicht nur für uns prägend war, sondern für die ganze Gegend dort. Allgäuer Kräuterland etc. Tilman Schlosser lebt leider nicht mehr, seine Söhne bemühen sich, das Werk ihres Vaters fortzusetzen. Und wir haben uns seine Arbeit zum Vorbild gemacht.

Tilmans Tod war ein Grund neben vielen anderen, das Allgäu zu verlassen. Oft sind es schmerzhafte Momente, die Veränderungen herbeiführen.

Wir wissen um die Wunden in dieser Gegend, die immer noch sehr tief sind. Die Verwüstungen durch den Tagebau, denen wir nun wunderbarerweise den herrlichen See zu verdanken haben (Borkener See auf hauptsächlich Nassenerfurther Grund, wie wir gelernt haben). Der See ist ein großer Schatz für die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt und bietet uns ein wunderbares Mikroklima. Es ist sehr schön, wie der See geschützt und geachtet wird von allen.

Und das furchtbare Grubenunglück quasi unter unseren Füßen, das unvergessen bleiben wird. Für uns, die wir von außen kommen, fühlt es sich manchmal so an, als ob die Zeit seitdem hier eigenartig stehen geblieben ist. Sicherlich braucht es lange, um den Schock zu verarbeiten. Wenn wir mit unserer Arbeit dazu beitragen könnten, ihn zu überwinden, wären wir sehr froh. Wer weiß, vielleicht gelingt uns gemeinsam ein Aufbruch zu etwas Neuem, wenn wir darüber ins Gespräch kommen.

Über die Geschichte des Schlosses wissen wir eigentlich immer noch furchtbar wenig. Bis auf die Geschichten der jüngeren Vergangenheit, die uns erzählt werden. Es scheint sehr wandelbar gewesen zu sein und wurde jeweils den Bedürfnissen seiner Bewohner angepasst. Es war sicherlich immer weniger ein repräsentativer Ort als vielmehr ein Ort der Arbeit. So auch heute.

Das Schloss war lange Zeit verschlossen, das Bedürfnis, hinter die Mauern zu gucken war riesengroß, das haben wir bei unserer Eröffnung gemerkt. Als uns nur der Regen davor rettete, vollkommen überrannt zu werden.

Wir sind dankbar für das Interesse, das uns entgegengebracht wird, dass unser Café angenommen wird, (so dass uns regelmäßig die Kuchen ausgehen, aber wir lernen Woche für Woche dazu und backen halt noch einen Kuchen mehr), dass die Meditationen auf großes Interesse stoßen. Dabei gibt es wunderbar berührende Momente wie diesen, als eine Frau zu uns sagte, es sei das erste Mal gewesen, dass sie eine Dreiviertelstunde nichts gemacht habe, oder nur etwas für sich selbst getan hat. Dieses Sitzen in der Stille hat eine ungeheure Heilkraft, die ich Ihnen gern ans Herz legen möchte.

In diesem Jahr nun wollen wir unser Angebot ein wenig ausweiten. Ende Februar werden wir das Programm dann auf die Homepage stellen.

Ein paar Punkte kann ich Ihnen aber jetzt schon verraten:

  • Vor den Caféstunden am Sonntag wird es einmal im Monat die Möglichkeit geben, an Kräuterführungen teilzunehmen, auf unserem Gelände, aber auch Wildkräuterführungen sind geplant. Gerne auch übrigens in Zusammenarbeit mit Schulkassen oder Kindergärten, falls Interesse besteht, sprechen Sie uns gerne an!
  • Wir werden wieder Lesungen für Erwachsene und auch für die Kinder veranstalten,
  • und arbeiten an einem Programm mit weiteren Vorträgen und Workshops zum Thema Natur und Umweltschutz, Heilpflanzen und Ökonomie
  • jahreszeitliche Feste wie das Sonnenwendfeuer wollen wir wieder feiern
    Yogakurse und Massagen werden angeboten von unseren Mitbewohnern Martijn und Max.
  • Bestehen bleibt das Angebot, sich auf Schloss Hirschgarten trauen zu lassen.
  • Und in unserem Schweizerhaus kann man übernachten, ein schöner Ort hier mitten in Deutschland für Familientreffen.

Der Höhepunkt in diesem Jahr wird unser Erzählfestival Mitte Juni sein in Zusammenarbeit mit dem Nordhessischen Kultursommer. ErzählerInnen aus Nord und Süd geben sich ein Stelldichein und beleben unser Gelände an verschiedenen Plätzen mit ihren Geschichten, Sagen und Märchen von gestern, vorgestern, heute und morgen. Traditionelle Märchen werden erzählt, urbayrische Mythen aus den Alpen kommen auf die Bühne, große Erzählungen von Kleist und schamanische Märchen aus dem Kulturschatz der ganzen Welt. Musikalisch wird das Festival umrahmt von Gitarre, Drehleier und japanischer Flöte. Und auch die Zuschauer werden zu Erzählern zu später Stunde… Wir sind sehr gespannt und freuen uns, dass die Künstler, die wir so gern dabeihaben wollten, bereits schon alle zugesagt haben. Und falls hier im Saal sich jemand angesprochen fühlt, dieses zauberhafte Ereignis unterstützen zu können und zu wollen, wir sind da und freuen uns auf Sie!

Auf die Idee mit dem Erzählfestival sind wir gekommen. Naja, weil in dieser Gegend die weltberühmten Märchen entstanden sind und weil wir gemerkt haben, wie sehr das Erzählen den Menschen hier, also Ihnen allen hier, immer noch so sehr im Blut liegt! Wenn wir ins Rathaus kommen, oder einkaufen gehen, Essen gehen oder einen Spaziergang machen, selbst, wenn wir auf unserem Feld arbeiten, bleiben Menschen stehen und fragen: „Was machen Sie denn da?“ nicht Was machen Sie denn da? Und zack, gibt es ein Gespräch und wir erfahren etwas von dem eigenen Garten etc. An der Supermarktkasse bietet die Kassiererin ihren „Spekulierapparat – so nannte mein Opa seine Brille immer“ an, wenn Otto den Zettel nicht lesen kann. Das sind Geschichten! Das erfährt man anderswo nicht so leicht! Das zu erleben ist wunderschön. Dem „sturen Nordhessen“, vor dem man uns gewarnt hat, bevor wir hierher gezogen sind, dem sind wir noch immer nicht begegnet.

In den Märchen steht oft geschrieben: „In einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat…“ Wir glauben sehr an die Kraft der Geschichten, die Narrative, sozusagen die Glaubenssätze oder auch die unbewussten Überzeugungen. Welche Geschichte, welches Narrativ verstärken wir durch unser Handeln?

Dass wir auf dem wunderschönen Gelände leben und arbeiten können, ist für uns allein schon ein Märchen, das wahr geworden ist und zeigt, dass das Wünschen ganz offensichtlich immer noch hilft. Allerdings muss man präzise sein im Wünschen, denn alle Wünsche, die bislang in Erfüllung gegangen sind, sind immer mit viel Arbeit verbunden, das haben wir gemerkt.

Charles Eisenstein, ein Philosoph und Aktivist aus den USA sagt: „Our stories are powerful. If we see the world as dead, we will kill it. And if we see the world as alive, we will learn how to serve its healing.“

Unsere Geschichten sind mächtig. Wenn wir an das Untergehen der Welt glauben, werden wir sie töten. Wenn wir an das Leben glauben, dann werden wir ihrer Heilung dienen.

Wir haben uns schlicht entschieden, etwas zu tun, das dem Leben und dieser Erde dienen soll. Dabei sind auch wir auf dem Weg und lange nicht perfekt. Der Ort soll Platz bieten für Anregung, Austausch und Auseinandersetzung für das Ziel, nachhaltiger zu leben, die Erde „enkeltauglich“ zu gestalten.

Wir sind Geschichtenerzähler, das ist, was wir gelernt haben, im besten Fall erreichen wir die Herzen der Menschen und können in ihnen etwas anstoßen.

Verhaltensforscherin Goodall: „Es ist zu spät, um Angst zu haben und zu zögern. Wir müssen etwas tun!

Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

18. Januar 2019